Kambodscha vom 01. -15. Februar 2017
Siem Reap, 06. Februar 2017
Wieder in Siem Reap. Wieder in Kambodscha.
Sokra, Somaly und die kleine, knitze Sokvoleak erwarten uns am Airport. Im neuen Kia-Minibus bringen sie uns in unser „Angkor Pal Boutique Hotel“ mit allen Schikanen. Es gibt viel zu erzählen. Wir checken ein, besorgen uns einen Stapel Riel, trinken in der Nähe des Hotels ein Bier und Sokra fährt uns mit seinem alten Freund „Lucky Tuk Tuk“ zum „Welcome-Dinner“ ins neue Haus.
Das liegt in einer fast dörflichen Gegend, am Ende einer holprigen Lehmstraße. Steinhaus mit überdachtem Vorplatz, der als Küche und Esszimmer auftritt. Im Haus ein relativ großes Zimmer, in dem auch ein Kousin schläft,
ein kleines Zimmer mit großem Bett für Sokvoleak und Somaly, ein kleines Bad. Sokra schläft meist auf einer Matratze im Freien.
Bei leckerer Tom Yum Suppe mit Gemüse, BBQ mit Schweinefleisch, Gemüse und viel Reis machen wir Pläne für die Tage in Kambodscha.
Mit Fahrrädern erkunden wir die Stadt, die kolossal aufgemotzt wurde in den letzten Jahren mit schicken und luxuriösen Hotels, repräsentativen Gebäuden und um den Nachtmarkt herum schrill und laut auf uns wirkt. Wie wird das erst am Abend sein, wenn alle Lokale mit lauter Musik und grellem Licht um die Kundschaft buhlen?
Der Verkehr auf den großen Straßen ist meist gewaltig und nervenaufreibend. Von allen Seiten schwirren die Motos um dich herum. Du kommst dir vor wie im Bienenschwarm. Überholt wird man von links und von rechts. Nur die Edelkarossen gleiten breit und hochnäsig vorbei. Träumend darf man hier auf keinen Fall fahren, denn nicht selten kommen dir auf der ganzen Breite der Straße Fahrzeuge entgegen.
Wir strampeln den breiten Sivatha Boulevard hinauf, der bei unserem ersten Besuch noch eine Sandstraße war, hinaus nach Norden Richtung Angkor (Sokra hat uns mit der Nachricht von der gewaltigen Erhöhung des Eintrittspreises in das Areal von Angkor seit 1.2.17 - unserer Ankunft, na sowas - von 20 auf 37 USD pro Tag und Person geschockt).
Am „Jayavarman VII. Kantha Bopha Hospital“ (in dem Kinder aus dem ganzen Land kostenlos behandelt werden) drehen wir um und fahren am Siem Reap Fluss nach Süden, am teuren „Grand Hotel D’Angkor“, den Königlichen Gärten und der Königlichen Residenz vorbei, in der gerade Staatsbesuch aus Myanmar zu Gast ist.
Ganz in der Nähe steht ein Schrein, der die beiden Schwestergottheiten (mutmaßlich sollen es Prinzessinen des ersten Khmerreiches sein) Phrea Ang Chek und Phrea Ang Chom beherbergt,
halten am Schrein mit dem lokalen Geist Ya Tep, vor dem viele Gläubige niederfallen und Opfergaben ablegen, weil dieser die Menschen mit Schutz und Glück bedenken soll.
Später besichtigen wir noch die leider zu viel dekorierte Phrom Rath Pagode und auf der Ostseite des Flusses wieder nach Norden zum ältesten und eigentlich auch schönsten Kloster der Stadt, Wat Bo, das leider gerade wegen Renovierung geschlossen ist.
In den Hotels, Restaurants, den teuren Kunsthandwerkgalerien und Schmuckgeschäften wird nostalgisch mit den Symbolen des prunkvollen und mächtigen Khmerreiches von Angkor geworben.
Aber am Abend erst, da trägt die Glitzerwelt der Bars und Kneipen um den „Psar Chas“ (Nachtmarkt), der „Pub Street“ und der dunklen Seitengassen sowie der Sivatha Street dick Schminke auf, taucht sich in grelles und blinkendes Licht, leuchtet sich in den Winkeln mit rotem Licht nur schummrig aus und zeigt sich hundert Prozent von der spaßigen Seite. Alles Erdenkliche wird getan, um den Touristen den Jahresurlaub so attraktiv wie möglich zu machen. Und weil Frauen noch immer weniger zur Schule gehn oder sie häufiger abbrechen, um die Familie zu unterstützen, treibt die Armut viele in die Sexindustrie.
Nicht nur im Geheimen blüht da die Prostitution.
Angkor ist der Hotspot von Kambodscha, der so ganz anders ist wie das übrige Land. Hierher reisen in der Hauptsaison am Tag aus aller Welt etwa 20 000 bis 30 000 Touristen meist mit Flugzeug an und 2-3 Tage später verlassen sie Kambodscha - wieder mit dem Flugzeug.
Die andere Seite dieser glänzenden Medaille: Kambodscha ist noch immer ein armes Land und zählt zu den ärmsten Asiens. Die Lebenserwartung liegt bei 60,5 Jahren, 45 % der Kinder unter 5 Jahren sind unterernährt und noch immer sterben fast 7 % kurz nach der Geburt.
Schon seit dem Untergang des mächtigen Angkor vor etwa 700 Jahren ist es so.
Aufgerieben und niedergehalten seither von den mächtigen Nachbarreichen Birma und Siam, den europäischen Kolonialreichen.
Nach seiner Unabhängigkeit 1953 dümpelt das Königreich 15 Jahre vor sich hin.
Ende der sechziger Jahre beschließen der amerikanische Präsident Nixon und sein Außenminister Kissinger - etwas später Träger des Friedensnobelpreises - acht Milliarden Dollar in das Land zu investieren. In Form von 540 000 Tonnen Sprengstoff, die nachtschwarze B 52 Bomber im Grenzgebiet zu Vietnam abladen. Um die Nachschubbasen des Vietcong wegzublasen.
Die Nachschubbasen blieben - weggeblasen wurden ein paar zehntausend Kambodschaner.
Im März 1970 stürzt General Lon Nol mit Hilfe des CIA den Könik Sihanouk, der ins Exil nach Peking flüchtet.
Es kommt zum flächendeckenden Bürgerkrieg: Die Bauern unter Führung der Khmer Rouge - trainiert, indoktriniert und bewaffnet von Rotchina - gegen die Armee der rechten Marionette Lon Nol - bezahlt, gegängelt und bewaffnet von den Amis.
Gleichzeitig stoßen US-Bodentruppen - vor der Weltöffentlichkeit geheim gehalten - immer tiefer in das Land vor.
Der 17. April 1975 ist ein schöner sonniger Tag.
Die Einwohner der Hauptstadt Phnom Penh bejubeln die Soldaten, die Befreier der Roten Khmer. Der Krieg ist endlich zu Ende.
Schon 3 Tage später ist die Millionenstadt leergefegt und es beginnt der Traum vom „Neuen Menschen“ in einem neuen „Angkor“, ein Blutrausch, der 3 Jahre, acht Monate und zwanzig Tage erbarmungslos andauert und dabei etwa ein Viertel der Bevölkerung brutal hinrichtet.
Danach, von 1979 bis Ende der 80iger Jahre die Gängelung durch die vietnamesische „Befreiung“ . Hun Sen, ehemaliger Roter Khmer, führt seit 1979 die von Vietnam unterstützte Regierung an. Es kommt zu einer der vielen absurden Konstellationen der jüngsten Weltgeschichte.
Aus Angst vor einem Flächenbrand durch eine vietnamesische Expansion in Asien schlug sich die USA, Großbritannien, Thailand und andere westliche Länder auf die oppositionelle Seite der Völkermordrebellen der auch von China unterstützten Roten Khmer und Sihanouk, die inzwischen in den Dschungelgebieten im Norden Kambodschas ausgebildet, mit Waffen ausgerüstet und trainiert wurden oder ihnen auf thailändischem Boden Zuflucht gewährten.
Nach der Auflösung der UdSSR konnte sich Vietnam sein Engagement nicht mehr leisten und da das Land zerrissen war und ein gar ein Bürgerkrieg drohte (Hun Sen Regierung gegen Sihanouk und die Roten Khmer als Opposition), kam es zu der UN-Übergangsverwaltung, die bis 1993 freie und faire Wahlen überwachen sollte, wofür mehrere tausend Blauhelmsoldaten der UNO ins Land kamen. In Phnom Penh herrschte eine surreale Situation: Die Infrastruktur der Stadt lag darnieder, die Versorgung mit Elektrizität und Wasser erfolgte nur sporadisch, Telekommunikation gab es nicht und abends bestand Ausgangssperre. Trotzdem boomte die Stadt, weil überall Hotels, Restaurants und Bars aus dem Boden schossen, um den hochbesoldeten Blauhelmen Unterkunft und Unterhaltung zu bieten. Phnom Penh erlangte in den 90iger Jahren dadurch den Ruf einer ungezügelten und gesetzlosen Stadt.
Und der Treppenwitz der Geschichte: Genau diese Aktion machte Kambodscha zum Land mit der höchsten HIV-Rate in der Welt.
Das Land kam dadurch nicht zur Ruhe. Erst als viele Getreue von Pol Pot zur königlichen Armee von Hun Sen überliefen, war 1998 das Ende der Roten Khmer gekommen. Seither regiert Hun Sen mit harter Hand (inzwischen 37 Jahre lang), unterdrückt Opposition und Widerstand, und gewinnt wundersam alle stattfindenden Wahlen.
Auf vielen Plakaten und Fahnen in der Stadt winkt sein steinernes Antlitz den Menschen grobschlächtig zu. Sein breiter, massiger Schädel scheint irgendwie nicht zum restlichen Körper zu passen. Er wirkte wie in aller Eile nachträglich aufgesetzt. Das Hemd hat er bis obenhin so eng zugeknöpft oder die Krawatte schnürt so fest zu, dass man keinen Hals mehr sieht. Insgeheim fragt man sich, wird das kambodschanische Volk von einer Marionette regiert?
Durch die jahrzehntelangen Bürgerkriege herrscht im Lande Frauenüberschuss und viele verdingen sich für geringen Lohn als Textilarbeiterinnen in Manufakturen europäischer Markenklamotten, als Trägerinnen oder werden auf Baustellen in den niedrigsten Tätigkeiten beschäftigt.
Millionen von ihnen arbeiten auch illegal in Thailand und Malaysia und 800 000 von ihnen sind im Januar zurück nach Kambodscha geflohen, wegen den Ankündigungen und Aktionen der Militärjunta in Bangkok, die sie mit Gefängnis und gar dem Leben bedrohen.
In den Werkstätten der „Artisans D’ Angkor“ konnten wir ausführlich die Arbeit der Holzschnitzer und Steinmetze bewundern, die in akribischer Feinarbeit aus einem Stück Holz oder Stein feinste Buddhastatuen oder Ornamentik erschaffen.
Ebenso konnten in den Werkstätten der Schüler die Herstellung von Silberschmuck, Lackdosen und die Stoffmalerei beobachtet werden. Ein beeindruckendes Sortiment an Khmer-Kunstfertigkeit. Den Prozess der Seidenverarbeitung werden wir noch außerhalb von Siem Reap in einer Seidenmanufaktur verfolgen.
Danach ein Bummel durch den „Alten Markt“ und ein Shake von der süßsäuerlichen Sirsakfrucht (Graviola oder Sauersack), die wir in Java kennen gelernt haben und die neben dem wunderbar erfrischenden Geschmack auch extrem heilende Kraft haben soll.
Eine ziemliche Enttäuschung war der Besuch des „Nationalmuseum“, das uns die Geschichte der Khmer nahezubringen versprach. Von einigen PR-Filmen zu Angkor Wat, Angkor Thom und Bayon abgesehen, las man sich an Tafeln stehend durch die verwirrende Geschichte und stand dann ratlos vor immergleichen Artefakten von Buddha, Brahma, Vishnu, Shiva, Lokesvara, Suryavarman II. oder Jayavarman VII in dieser oder jener symbolischen Haltung. In dieser Geschichtsbetrachtung spielte das Khmervolk keine Rolle und sämtliche Tempel wurden von den vielen Khmer-Gottkönigen errichtet. Mit Brecht wollte man fragen: „Hatten sie nicht wenigstens einen Koch dabei?“ Und gelobt für die Zeugnisse dieser einzigartigen Baukunst wurden in der Ausstellung nicht etwa die Steinmetze, sondern natürlich die Könige. Und dies alles für 12 USD.
Das Museumsgebäude reklamiert für sich selbst den Kunststatus. Die aufwändige Architektur mit edlen Materialien und raffinierten Lichtspielereien ist der ideale Platz für die Ästhetisierung der Geschichte.
Im riesigen Foyer des Museum stoße ich mich an diesem den Leuten ins Gesicht geschriebene Verlangen nach einem Kunsterlebnis, das sie sich als nicht alltäglich zurechtlegen. Aber dann sehen sie im Vorraum den Andrang der Massen, mit denen sie nichts zu tun haben wollten. Daran kann man sehen, dass die Kunstpaläste heute oft den schicken Kaufhäusern ähneln. Worauf man sich aber eigentlich kaum einen Reim machen kann.
Heute waren wir beim komplett neuen Angkor Wat Erlebnis. Neue Preise, neues Outfit, neue Wege, neue Massen.
Sokra fährt uns im Tuk Tuk nicht etwa die alte Straße nach Norden zu den Tempeln, sondern erstmal ostwärts auf der R6 und nach einigen Kilometern dann doch nach Norden. Wir sehen in der Ferne hochaufragende und repräsentative Dächer und spekulieren, es sei in der Nähe des Parks eine teure Wohnanlage für Wohlbetuchte entstanden.
Weit gefehlt. Die überdimensionierte palastähnliche Anlage entpuppt sich als Ticket Areal und Welcome-Center. Riesige Schlangen von Bussen, Minivans, Karossen und Tuk Tuks stauen sich schon im Vorbereich und verstopfen das gesamte Areal. An den 40 Kassenhäuschen stauen sich die Menschenmassen wie beim Check-in, die in allen erdenklichen Sprachen durcheinanderquasseln, aber nur einen Wunsch haben, für 37 USD ein Ticket zu erhaschen. Hat man es, staut man in einer unendlich scheinenden Schlange nach Norden, wobei sich Sokra als cleverer Vertreter seiner Zunft enttarnt.
Wir entscheiden uns, die Tempel außerhalb der großen Anlage zu besuchen. Aber auch dort tummeln sich oft die Massen und verderben sinnliches Vergnügen.
An fast jedem der Tempeleingänge empfängt die Musik einer Landminengruppe die Besucher.
Bantey Kdei macht dabei den Anfang bringt viele Erinnerungen zurück.
Der 962 Shiva geweihte Staatstempel und archetypische Tempelberg Pre Rup folgt.
Von seiner obersten Plattform sieht man weit über Reisfelder, Dörfer und dichten Buschwald.
Danach fahren wir an vielen Reisfelder und Dörfern vorbei
zum 30 km nordöstlich gelegenen Bantey Srei, der offensichtlich zu einem Lieblingstempel des chinesischen Volkes avanciert ist.
Jedenfalls werden die reichen Verzierungen und fantastischen Steinmetzarbeiten überall am Sandsteintempel von zig Kameras gleichzeitig abgelichtet. Fast peinlich und man bekommt einen Impuls zum Abdrehen.
Ohne eine Lunchpause an einem Essensstand vorher, hätten wir diese Zerreißprobe eventuell nicht überstanden.
Der Standort des östlichen Mebon war einst eine Insel im jetzt trockenen Östlichen Baray (großer Wasserspeicher der Khmer).
Auf der großen Runde um Angkor geht es weiter zum kleinen, aber feinen buddhistischen Tempel Ta Som,
der seinen Charme bewahrt hat und wie die Miniaturausgabe des überlaufenen Urwaldtempels Ta Phrom ohne diese Massen wirkt.
Auch hier umarmen die Wurzeln eines riesigen Kapokbaums den östlichen Turm mit dessen mächtigen Boddhisattva-Gesichtern.
Am ungewöhnliche Neak Pean auf einer Insel im nördlichen Baray ist der lange Steg zum Heiligtum voll, von einigen chinesischen Bussen am Waldparkplatz angekündigt. Nachdem wir uns dennoch entschließen, kommen uns Hundertschaften auf dem schmalen Steg entgegen, so dass wir auf der Insel einige Momente fast alleine sind.
Im letzten Tempel unserer Runde, Preah Khan, lebte Jayavarman VII. während des Wiederaufbaus von Angkor Thom, das 1177 von den Cham niedergebrannt und geplündert wurde. Später diente der Tempel lange als Kloster und Unviversität mit geschätzt 100 000 Hilfskräften, die in ihm arbeiteten und lebten.
In der großen halbzerfallenen und vom Dschungel überwucherten Anlage hatten Edith und ich uns aus den Augen verloren und als ich aus dem von vielen schon verlassenen Areal zu Sokras TukTuk zurückkam, kam etwas Sorge auf, Edith könnte den Ausgang des in allen Himmelsrichtungen ähnlich konstruierten Nordausgang nicht finden und in den Steinen herumirren. Nach einigem Warten löste sich die Spannung auf. Gelassen, aber insgeheim auch ein bisschen stolz kam sie uns entgegen. Phuu.
Jetzt beinahe allein im Wald tranken wir an einem letzten Stand noch ein Bier und fuhren danach in einer unglaublich langen und trägen Schlange an den noch gut gefüllten Busparkplätzen von Angor Thom und Angkor Wat vorbei gen glitzerndes Siem Reap.
Eintauchen in die Lebenswelt der einfachen kambodschanischen Familie war ein Highlight unserer Reise.
Mit Somaly, Sokra, Banja, dem Neffen von Somaly, der zur Zeit wegen der Schule in dem beengten neuen Häuschen von Sokra wegen der Schule mitwohnt, und Sokvoleak sind wir ins etwa 80 km entfernte Dorf von Somalys Eltern gefahren, ganz nahe am Tonle Sap, dem größten Binnensee Südostasiens.
Das Besondere des Sees ist sein enormer Fischreichtum und die Tatsache, dass der Mekong zum Höhepunkt der Regenzeit die Wasser des Tonle Saps zurückdrängt und so den See um das Vierfache seiner Größe in der größten Trockenzeit anschwellen lässt.
Bei der Großfamilie von Somaly also waren wir zu Gast und obwohl außer Sokra nur 2 Mädchen, die sich ganz besonders um uns kümmerten, ein wenig englisch sprechen konnten, fühlten wir uns sofort sehr wohl.
Somaly und die Schwestern kochten ein Mal
- alles geschieht auf dem blanken Boden - ,an dem ungezwungen und ohne jegliche „Etikette“ auf dem Boden des Stelzenhauses gegessen, gekommen und gegangen wurde.
Die staubige rote Sandstraße durch das Dorf mit den ärmlichen Hütten
führt hinaus zu den unendlichen Reisfeldern, die in der Regenzeit - unfassbar - vom Tonle Sap total überschwemmt sind. Selbst die Häuser im Dorf stehen mit den Stelzen im Wasser.
Der Vater von Somaly, der während der Regenzeit Waren mit seinem Boot über den See auf die andere Seite schippert und während der Trockenzeit die Reisfelder bewirtschaftet,
fuhr uns mit seinem Boot durch die Kanallandschaft, die Kinder, die uns alle lange begleiteten, zeigten uns allerhand Kuriositäten ihrer Pflanzen- und Tierwelt.
Am Markt des Dorfes erstanden wir noch zwei Khroma, die typischen Khmerschals und wurden von den Kindern über die spezielle Trageart instruiert, die uns allerdings nur annähernd gelang.
Auf der Rückfahrt noch ein Halt an der tausend Jahre alten Khmerbrücke
und am Sonnenuntergang vor den typisch kambodschanischen Zuckerpalmen.
Im Haus von Sokra haben wir zum Abschluss noch gekocht: Italienische Pasta mit Curry und Krabben und nach einem Bier war gut.
Kratie, 13. Februar 2017
Bevor unsere Reise in den Norden beginnt, besuchen wir die workshops der „senteurs d’Angkor“
und kommen um das Shoppen einfach nicht herum. Ebenso in der Silk Farm von „Artisants d’Angkor“ außerhalb der Stadt.
Die 3/4stündige kompetente Führung durch die große Seidenmanufaktur war nicht nur ausgesprochen lehrreich, sie animierte auch zu einigen Einkäufen.
Dann aber fuhren wir abwechselnd in Sokras Bus auf einer relativ guten Straße nach Norden in der an Thailand angrenzenden Provinz Siem Reap.
Die größte Überraschung: Das große Dschungelgebiet vor dem Dangkrek-Gebirge, in dem sich von 1979-1998 die versprengte Armee der „Khmer rouge“ versteckt hielt, ist seither fast gänzlich abgeholzt
und wird in wenigen Jahren wahrscheinlich ödes Trockengebiet sein. Unfassbar und traurig. Eine ganze Landschaft liegt zerfleddert auf dem Sterbebett.
Sokra erzählte vom Holzausverkauf im Norden von Kambodscha in den Anfängen des Jahrtausends und der Gier nach schnellem Geld.
Wer das Flair vom Ende der Welt sucht, kommt in Anlong Veng voll auf seine Kosten. Der staubige Ort ist nur deshalb erwähnenswert, weil Bruder Nr.1, Pol Pot, hier eine zeitlang lebte und hier auch starb. Die Umstände seines Todes liegen völlig im Dunkeln. Dennoch ist die Stelle zur Einäscherungsstätte ausgeschildert und wird von Einheimischen tatsächlich als eine Art Schrein gepflegt. Auch Ta Mok, der Schlächter, hatte hier ein Haus und genoss öffentliches Ansehen, weil er die örtliche Schule stiftete, der gute Mensch.
Beinahe die Hälfte der Strecke - annähernd 120 km - sahen wir rechts und links der Straße zum Trocknen ausgelegte Cassava- oder Maniokstücke und weiter abseits große Rodungsfeuer.
Es brannten nicht nur Büsche, Bäume und das Grasland, hie und da stand auch schon mal eine alte Hütte in Flammen. Abgebranntes, totes Land so weit man sieht, qualmende und kohlschwarze Stämme mahnen wie Zeigefinger in den Himmel. Der Qualm all dieser kleinen Brände verfinsterte am Abend den Himmel und über der Stadt Sray Em, in der wir übernachteten, lag ein beißender Brandgeruch. Nach Sokra gibt es eine absurde Erklärung für die radikale Abholzung der Dschungellandschaft des Nordens: Es ist gut, dass die Wälder abgeholzt wurden, dadurch können sich die Khmer rouge nicht mehr verstecken.
Am Morgen fuhren wir früh (weil wir chinesischen Reisegruppen zuvor kommen wollten) und unter einem rötlich diesigen Himmel zur jahrelang zwischen Thailand und Kambodscha umkämpften Tempelstätte direkt an der Grenze beider Länder, „Prasat Preah Vihear“, die sich wundervoll in die Dangkrek-Berge schmiegt.
Ab dem Ticketschalter in der Ebene der verbrannten Erde werden die Besucher auf dem Rücksitz eines Motos
auf einer abenteuerlichen Straße etwa 10 km mit abnormaler Steigung hochgefahren, wo man schließlich unterhalb des Treppenaufgangs zum Tempel im vom Militär geschützten Gebiet auf etwa 800 m Höhe abgeladen wird.
Dort oben befindet sich der aus großen Sandsteinblöcken (bei denen man sich fragt, wie sie damals um etwa 850 hier hochgetragen wurden) errichtete ungewöhnliche Khmertempel, der von Thailand beansprucht, aber von der UNESCO 2008 zu kambodschanischem Besitz erklärt wurde. Es ist ein idealer Ort für spirituelle Einkehr. Nicht so einfach zu erreichen wie heute, mühsam für jeden Pilger und die Einsamkeit und Weltferne vertreibt die alltäglichen Probleme, bringt den Menschen seinen Göttern nahe und trägt zum religiösen Empfinden sicher einiges bei.
Hier oben - so scheint es - weht der Wind der Ewigkeit.
Nach den steilen Treppen erreicht man einen mit Nagabalustraden verzierten Hof und gleich dahinter den ersten Gopuram (großes Eingangstor bei Khmertempeln) mit den kunstvoll gemeißelten Ziergiebeln.
Weiter führt ein gepflasterter und von Säulen begrenzter Prozessionsweg am großen königlichen Badebecken vorbei zum zweiten Gopuram mit einigen kunstfertigen Reliefs zu Szenen aus der hinduistischen Mythologie.
Eine weitere steile Prachtstraße führt hinauf zur dritten Ebene. Dort befanden sich die königlichen Gemächer, die Suryavarman I. oder Jayavarman VII. bei ihren Tempelbesuchen benutzten.
Man kann sich auch vorstellen (wenngleich die Phantasie dazu fehlt), dass die Gottkönige von vielen schlecht ernährten Trägern den halbtägigen Weg mit viel Pomp und Aufwand nach oben transportiert wurden. Zwei nahe Gebäude dienten als Rasthäuser für Pilger.
Die vierte Prachtstraße hinauf zum vierten Gopuram erweckt eher den Anschein eines Hofes und dahinter sieht man das stark verfallene Heiligtum. Hier ist die Luft voll vom schweren Duft abgebrannter Räucherstäbchen. Eine Affenhorde zankt sich in luftiger Höhe um die von Pilgern hingeworfenen Brotstücke.
Zu seiner Entstehungszeit war der Tempel in solch unwegsamer Höhe ein Pionierprojekt. Die gewölbten Galerien gehören zu den frühesten Beispielen ihrer Art in der angkorianischen Architektur.
Vom Gipfel hier oben beim Heiligtum eröffnen sich grandiose Ausblicke auf die diesige Silhouette des Dangkrek-Gebirges und die kahle Ebene mit einem Baray (Wasserspeicher), den verkohlten Baumstümpfen und dem toten Buschland weit unten. Die steilen Hänge ringsum sollen noch immer stark vermint sein und die Dörfer in der Ebene wurden während der Feuergefechte der letzten Jahre ins Hinterland verlegt.
Sokra und Edith kokettieren für ein Bild an den steil abfallenden Abstürzen der Wände mit dem Gott der Todessehnsucht - wenn es ihn gäbe.
Am Nachmittag erreichen wir den kleinen Ort Srayang, in dem eigentlich wenig, um nicht zu sagen gar nichts los ist.
Wir reden viel über Traditionen und Rituale der Menschen und ihre Bewältigung der Lebensängste, essen und trinken auch viel im dem Gh angeschlossenen und improvisierten Gasthaus, gehen aber ausnahmsweise mal nicht zu spät ins Bett.
Heute besuchen wir ganz in der Nähe Koh Ker, eine eigenwillige und weitläufige Anlage in der Nähe des Berg Kulen. Sie ist eine ganze Tempelstadt, die zweitgrößte der alten Khmer-Kultur. Wegen der abgeschiedenen Lage kann Koh Ker noch als „verlorene Stadt “ gelten. Sie blieb bislang abseits der Touristenströme.
Dies war eine ehemals bedeutende Stadt des Khmer-Reiches, die „Lingapura“ genannt wurde. In einem Areal von 81 qkm liegen die Monumente versteckt im Wald, der teilweise noch stark vermint ist, wodurch man nur einige wenige besichtigen kann. Unter dem Khmerkönig Jayavarman IV. war Koh Ker kurzzeitig Hauptstadt des Imperiums.
In Koh Ker wurde der eigenständige „Koh-Ker-Stil“ entwickelt und die Bildhauerkunst erreichte einen fulminanten Höhepunkt.
Zentrum von Koh Ker ist der Prasat Thom, ein imperialer Tempel, mit drei einfriedenden Ummauerungen und einem breiten Wassergraben. Östlich davon steht das Tor und die sogenannten Paläste.
Unmittelbar westlich des Kerntempels steht die Stufenpyramide, Wahrzeichen von Koh Ker. Es war die damals höchste Pyramide der Khmer und gehörte zum bis dahin weitläufigsten Tempelkomplex.
Rund um den Prasat Koh Ker liegen mitten im Wald weit verstreut mehrere einsame Kultstätten.
Der bedeutendste und sicher auch schönste ist der Prasat Pram, der Märchentempel von Koh Ker, in dem die Natur in Person von Kapokbäumen und Würgefeigen die zerfallenen Tempel in stoische Obhut nahm. Ein Bild von wilder Romantik entstand aus dieser Okkupation. Wir lassen uns viel Zeit und genießen die in der Stille entstandene Harmonie zwischen Stein und Wurzelwerk.
Weiter fahren wir nach Osten, wieder durch verbrannte Erde und allmählich nimmt der Landraub kriminelle Dimensionen an. Wir durchschauen nur vage, wessen Interessen da zündeln.
Das grenznahe Städtchen Stung Treng am Sekong und Mekong gelegen ist unsere nächste Station und unser Übernachtungsplatz.
Wer Stunden auf einer kambodschanischen Straße mit 40 km/h unterwegs war, hat sich das Menschenrecht auf Körperpflege verdient.
Zu sehen gibt es eh nicht viel außer einem von den Roten Khmer zerstörten und wieder aufgebauten Wat auf der anderen Seite des Mekong.
Allerdings ist im letzten Sommer im Zentrum der alte Markt aus Holz vollständig ausgebrannt und an dieser Stelle wird gerade ein neuer Markt und viel Beton für Geschäftshäuser verbaut. Der Kern der Stadt ist dadurch eigentlich unpassierbar und eine einzige Baustelle und strahlt wenig Romantik aus. Selbst am Ufer des Mekong herrscht das Chaos, so dass der obligate Spaziergang dort ausfällt. Außerdem ist die Dunkelheit am Abend besonders heftig, so dass fast nichts wirklich zu erkennen war - außer dem vielen Bauschrott und dem Müll als Dekoration.
In den Straßen vor dem neuen Markt hat sich ein wuseliger provisorischer Markt mit wackligen Verkaufsständen und viel zu niedrigen Planen etabliert. Hier, nahe der Grenze zu Laos, leben viele Chunchiet, deren Frauen am Markt die im Wald gesammelten Wurzeln und Kräuter verkaufen.
Es geht nach Süden, zwar abseits, aber dennoch dem Verlauf des Mekong folgend.
Die Armut springt einem schon kurz nach der Stadt ins Auge. Windschiefe und demnächst mit Getöse wohl zusammenkrachende Hütten, in denen tatsächlich Betrieb ist. Müllübersäte Abwasserkanäle entlang der Straße und winzige Schlammlöcher bei den Stelzenhäusern und ausgerechnet dort erledigen Kinder ihre knappe Morgentoilette.
Schon seit wir die Stadt verlassen haben qualmt unser Minibus besorgniserregend. Sokra telefoniert mit Freunden und bekommt total unterschiedliche Diagnosen. Je länger wir fahren, desto unruhiger werden wir. Der Motor wird von 3 Laien begutachtet. Sie starren hilflos auf die Ölstandsanzeige und befinden, sie sei etwas knapp. Folgerungen folgen nicht. Sokra favorisiert die Möglichkeit, schlechtes Diesel getankt zu haben, wohl um sich zu beruhigen.
Etwa 40 km vor Kratie machen wir einen Halt an der „Pagode der Einhundert Säulen“ von Sombor, die 1986 mit dem Anspruch errichtet wurde, das Wat mit den meisten Säulen in Kambodscha zu sein. Sokra erzählt mit Enthusiasmus eine abstruse Entstehungsgeschichte anhand vieler naiver Wandbilder in Märchen- oder Harry Potter-Manier.
Aber inzwischen hatten wir für Freizeitprogramm nicht mehr den Nerv. Denn der Bus qualmte noch immer und wir beschlossen, nahe Kratie zu einer Garage zu fahren.
Wir fuhren die letzten Kilometer auf einer dammähnlichen Straße. Rechts und auch links zum Mekongufer hin standen unterhalb die hohen Stelzenhäuser, die jeweils über eine Holzbrücke mit der Straße verbunden sind. Während der Regenzeit stehen die Stelzen im Wasser und auf dem Damm hat man wohl den Eindruck einer riesigen und langen Brücke durch das Wasser.
Kurz vor der Stadt bogen wir auf einen Feldweg in ein Dorf einfachster Verhältnisse ein und nach einigem Suchen fanden wir die „Werkstatt“. Nach kurzer Untersuchung stand fest, mit dem Minibus sollte nicht mehr gefahren werden. Es war kaum mehr ein Tropfen Öl im Motor. Sokra verhandelte und man einigte sich darauf, den Bus stehen zu lassen, damit am Morgen der Motor ausgebaut und ein kleines Teil (wahrscheinlich die Zylinderkopfdichtung) ausgetauscht werden kann.
Mit Ben - dem TukTukfahrer, der uns in Kratie vor 5 Jahren gefahren hatte und uns Sokra in Siem Reap vermittelte - fuhren wir samt ganzem Gepäck nach Kratie zum Hotel. Sokra fuhr zu seinem Elternhaus.
Kratie, die Stadt, in der Sokra aufgewachsen ist, hat durchaus Charme. Jetzt in der Trockenzeit bei niedrigem Wasserstand des Mekong liegen die Ufer etwas höher und man hat schöne Ausblicke auf die Flusslokale, die Strände und die gegenüberliegende Insel Koh Truong. Aber wie wird die Stadt wohl in der Regenzeit aussehen, wenn der Mekong das Umland überschwemmt?
Wir spazieren über den Markt, trinken und essen im „Red Sun Falling“ am Mekong auf den Schrecken eine Kleinigkeit, begutachten die Kolonialgebäude und erinnern uns an vieles von der Reise im Februar 2013.
Mit Sokra schauen wir am Mekongufer trotz Betroffenheit den Sonnenuntergang und spazieren danach zu seinem Elternhaus. Beide warten schon und erzählen mit Sokra als Dolmetscher aus ihrem Leben unter den Roten Khmer und der schlimmen Zeit der Besetzung durch die vietnamesische Armee. Was für ein trauriges Leben! Wir werden am nächsten Abend auf ein kleines Abendessen eingeladen.
Solche intensiven Eindrücke wirbeln den Staub der Seele auf und fordern sofortige Verarbeitung. Was wir danach bei einigen Bieren auch versuchten.
Da der Bus zur Genesung noch einige Stunden beanspruchte, mieteten wir Fahrräder und setzten mit der Fähre über auf die Mekonginsel Koh Trong.
Die vorgelagerte Sandbank ist normalerweise als Strand sehr beliebt, aber seit vor wenigen Wochen drei 16jährige Schüler beim Schwimmen von Strudeln hinabgezogen wurden und starben, sind die Strandlounges verwaist. Die Insel aber ist eine Oase.
Es leben hier Reisbauern, Fischer und Farmer sehr entspannt in ihren Stelzenhäusern. Sie ist in Kambodscha berühmt für die besten und süßesten Pomelos.
Im Garten des ehemaligen Schuldirektors von Sokra werden wir bestens aufgeklärt, was die Pomelos betrifft. Dadurch, dass er die 110 Bäume in der Trockenzeit gut bewässern kann, sind 2 Ernten möglich. Eine am Ende der Regenzeit im November/Dezember mit ca 150 Früchten pro Baum und eine im Mai mit wesentlich weniger. Auf dem Markt erzielen die Früchte einen guten Preis.
Wir gondeln gemütlich auf den Sandwegen um die Insel, lernen einige uns noch unbekannte Pflanzen und Früchte kennen (Sokra klettert gar auf einen Baum, um uns die reife Milchfrucht zu kredenzen - sehr süß),
genießen in einer kleinen Hütte einen Snack (Kokosreis mit Banane im Bananenblatt gegart), lassen uns die frische Brise um die Nase wehen und freuen uns über die friedliche Stimmung und die Ruhe, die dieser Ort im Mekong ausstrahlt und durch den Körper in die Seele treibt.
Am Abend sind wir bei den Eltern von Sokra zu einem kleinen Abendessen eingeladen. Zur unserer Überraschung wurden für uns Tisch und Stühle aufgestellt, da sie uns die ungewohnte Situation auf dem Boden ersparen wollten.
In der Küche, in der alle Utensilien irgendwo auf dem Boden stehen, sitzen wir beim Gasfeuer und schauen der Mutter zu, wie sie die gebratenen Nudeln mit Gemüse und Schweinefleisch im großen Wok zubereitet. Auf dem Tisch steht danach ein Hotpot mit einer leckeren Suppe mit viel Gemüse und ebenfalls Fleisch. Später gibt es noch Mango und eine uns nicht bekannte, apfelähnliche kleine Frucht.
Der Abend beeindruckt uns in mehrfacher Weise. Da ist zunächst die ungezwungene Art und Selbstverständlichkeit, in der auch Nachbarskinder am Essen teilnehmen oder andere Leute plötzlich am Tisch stehen. Beim anschließenden Bier fragen wir uns aber, weshalb die Menschen in den Stelzenhäusern und Hütten der Dörfern so wenig Wert auf Ordnung legen. Alles liegt irgendwo auf dem Boden oder wird aus Platzmangel übereinander gestapelt, hängt in Plastikbeuteln von der Decke. Und wenn wir uns das fragen, habt ihr eventuell eine Vorstellung vom gewaltigen Durcheinander des Wenigen in den Häusern. Die einzige erkennbare Ordnung für uns waren die vielen Bilder aus der Familiengeschichte (Aufnahmen der Großeltern und Eltern, Kinder und Enkelkinder...) an den Wänden des großen Raumes.
Eindrücklich war er allemal, der Blick in diese so verschiedene und ärmliche Welt. Sokra bemühte sich redlich als Vermittler zwischen den Welten.
Da der Bus wieder wie gewohnt und ruhig schnurrte, holten wir am Morgen den Ausflug nördlich von Kratie nach.
Von der Mutter hatten wir den Tipp einer Vollmondzeremonie in einem Wat. Unweit der Stadt erhebt sich auf einem Hügel der Phnom Sambok mit einer Pagode und angeschlossenem Meditationszentrum.
Oben war viel los, denn die Mönche und die Gemeinde feierten die „Erleuchtung“ Buddhas mit Musik, Essen, natürlich Gebeten und Litaneien.
Auf dem bewaldeten Hang stehen kleine Meditationsklausen der Mönche und oben am Wat erfüllt der Duft von Frangipani-Blüten die Luft. Sokra erzählte uns wieder eine Geschichte zum Hügel und der Pagode, die moralisch etwas fragwürdig daherkam und jedenfalls von der aktuellen Geschlechter-Wirklichkeit in Kambodscha nicht so richtig bestätigt werden kann.
Von dort oben reicht der Blick weit über die Seen und Felder des Hinterlandes und die glitzernde Mekonglandschaft.
Die „Rapids“ bei Kampie waren eine interessante Abwechslung.
Mitten im über Stromschnellen rauschenden Mekong sind dort auf Stegen Bambushütten in langen Reihen für mehrere hundert Menschen gebaut.
Dort lagern Gruppen und ganze Familien am Boden oder in Hängematten, haben Essen und Getränke mitgebracht und verbringen dort im und am Fluss die heißen Tage, wohlgemerkt nicht nur die Wochenenden. Freizeitvergnügen auf kambodschanisch.
Eine sehr relaxte Sache. Wir essen kleine Fischsnacks im Bananenblatt versteckt und Pomelo, dösen gar ein Stündchen in der Hängematte.
Ganz in der Nähe beim Dorf Kampie leben einige Irrawaddy Delphine im Mekong.
Die Delphine sind zwar da, hin und wieder sieht man einen auftauchenden Rücken, aber so richtig sehen kann man sie eben doch nicht. Sie waren wie ein im Kaffee aufgelöstes Stück Zucker; vorhanden und doch nicht da.
So könnte das aussehen. Aber das Leben ist nicht Konjunktiv.
Eine zweifelhafte Freude. Vor allem, wenn man bedenkt, welchem Stress die Tiere bei der Verfolgung mehrerer Motorboote ausgesetzt sind.
Am späten Nachmittag radelten wir noch nach Süden am Fluss entlang zu einem alten laotischen Tempel
und einem Nebenflusstal des Mekong mit vielen Gemüsefeldern (riesig hohes Zuckerrohr, Mais, Yams, Aubergine, Chili, Sesam und Erdnüsse)
und einer großen heruntergekommenen Geflügelfarm. Bei der Mündung in den Mekong leben einige vietnamesische Fischerfamilien in Schwimmenden Dörfern auf Zucht- und Hausbooten.
Die Sonne spiegelte sich lange schon vor ihrem Untergang zwischen den Booten im Wasser.
Am Abend trafen wir uns mit Ben und Sity, zwei gute Freunde von Sokra, mit denen er auch zusammenarbeitet, zum Abendessen und Bier.
Mondulkiri ist wohl die ärmste, am dünnsten besiedelte und gebirgigste Provinz von Kambodscha. Wir fahren zunächst Richtung Süden bis Snuol und biegen dann nach Nordosten ab und kommen der vietnamesischen Grenze immer näher.
Erstaunlicherweise ist die im Reiseführer als ziemlich abenteuerlich beschriebene Straße durchaus gut befahrbar. Nun steigt sie auch langsam an, bis sie etwa 40 km vor der Provinzhauptstadt Sen Monorom ein 900 m hohes Plateau erreicht.
Trotz enormer Abholzung durch die vietnamesische Regierung, wie Sokra feststellt, findet man hier noch dichteren Wald.
Die Straße führt nun im Wechsel sehr steil bergauf und wieder bergab mit schönen Aussichten auf die Täler.
Bei Sen Monorom wechselt die Landschaft wieder. Die Hügel sind sämtlich abgeholzt oder brandgerodet und jetzt meist nur noch mit Gras bewachsen, ab und zu auch mit aufgeforsteten Kieferwäldchen. Nach mancher Kurve glaubt man sich irgendwo in Norwegen.
Eine Freundin von Sokra, die von Kratie mitgefahren ist, bringen wir auf manchmal staubigen Wegen zu einer Hochzeitsgesellschaft in einem Dorf beim Bou Sraa Wasserfall, der allerdings nur in der Regenzeit bombastisch ist.
Erst mehrfaches Fragen und Telefonieren bringt uns ans Ziel - ein Hochzeitszelt am Ende des Dorfes.
Fast 80 % dieser armen Provinz sind Minoritäten vom Stamm der Phnong und den schlechten „Straßen“ und teilweise in roten Sand eingehüllten Dörfern sieht man die Armut an.
Wieder in Sen Monorom beziehen wir Zimmer in einem Guesthouse und fahren auf einen Aussichtspunkt mit freier Sicht auf das weit auseinandergezogene Dorf mit den vielen kahlen Hügeln (was in anderen Regionen Hügel genannt wird, heißt hier Berge) in der Umgebung.
Eine Schande, was die Profiteure dieser Landschaft angetan haben. Vor noch 15 Jahren - Sokra hat es mit eigenen Augen gesehen - war in Mondulkiri noch 90 % Regenwald, es gab keine Straßen, nur einen Landeplatz für kleinste Flugzeuge. Heute ist das hier ein staubiges, rotsandiges Trockengebiet.
Kaum vorstellbar.
In der Nacht hatte heftiger Wind den roten Sand demokratisch auf Autos und Häuser verteilt.
Nach einem Spaziergang um den kleinen See machen wir uns auf den Weg in die grenznahe Provinz Rattanakiri im Nordosten Kambodschas.
Der Looseführer von 2011 verspricht: „Üppiger Dschungel, dunstverschleierte Flüsse und donnernde Wasserfälle prägen Kambodschas nordöstliche Provinz.“
Denkste. Zu früh gefreut. Tatsächlich fahren wir auf einem „Highway to Hell“ durch verbrannte Erde mit kahlen und verkohlten Bäumen auf meist schnurgerader in den ehemaligen Wald getriebene Straße, die sich vor etwa 10 - 12 Jahren für den Holzabtransport durch die einstige Wildnis gefressen hat.
Schilder am Straßenrand weisen stolz auf „Wildlife sanctuary“ hin. Man sollte die Nationalparks schleunigst in „Wildlife cemetery“ umbenennen. Das wäre zumindest ehrlich. Wir fahren drei Stunden und sehen kaum Dörfer, selten kommt ein Fahrzeug entgegen, auf beiden Seiten der Straße immer wieder kleine Feuer, Rauchwolken steigen auf und Brandgeruch liegt in der Luft. Die Natur wirkt wie ein verwundetes und verendendes Tier.
Etwa 30 km vor der Provinzhauptstadt wechselt die Szenerie wieder. Nun kann man eindrucksvoll das ganze Ausmaß der Abholzung und deren Resultate überblicken. Es öffnet sich eine Landschaft mit kahlen und braunen Hügeln zwischen riesigen Plantagen - Ölpalmen, Kautschuk, Mango, Bananen, Cashewnut und Pfeffer für die Märkte dieser Welt. Im Besitz vieler regierungsnaher Investoren, wie Sokra meint. Selbst in den Nationalparks, in denen Holzeinschlag natürlich verboten ist, würden organisiert und unkontrolliert Feuer gelegt, mit dem Ziel, die Abholzung vorzubereiten. Das kambodschanische Korruptionssystem ist dabei eine gute Hilfe. Niemand greift ein.
Kambodschas Natur brennt schon mehr als eine Woche, seit wir Siem Reap verlassen haben, im gesamten Norden und Nordosten..
Es ist zum Heulen und tut in der Seele weh.
Wir fahren direkt zum feudalen „Ratanakiri Boutique Hotel“ am „Boeung Kansaing See“ mit fast schon ländlicher Idylle,
etwas außerhalb der Stadt und nach einer kurzen Pause zu einem Volleyballspiel gegen Onkel von Sokra und dessen Freunde. Es geht nicht etwa um Ehre oder Spaß, sondern - wie Sokra versichert - immer um Geld.
Wir einigten uns auf Bier als Einsatz und verloren haushoch, ohne Chance gegen die sprunggewaltige Jugend. Wir sahen gewissermaßen alt aus.
Stung Treng, 15.02.2017
Ban Lung hat sich laut Sokra in den letzten 10 Jahren von einem Wildweststädtchen mit staubigen Schotterstraßen in eine Kleinstadt mit vielen modernen Gebäuden entwickelt.
Wenn man ein Zentrum ausmachen will, dann ist es der wuselige Markt, auf dem auch viele Frauen der Minoritäten aus der Umgebung ihre in Körben herangeschleppten Wurzeln, Yamsknollen
und Gemüse verkaufen. Das Angebot ist riesig und sehr vielfältig.
Quirlig geht es zu am Morgen, da es viele Garküchen mit Leckereien gibt. Sie besuchen wir am frühen Morgen, da Sokras Schwägerin dort Nudelgerichte und Frühlingsrollen verkauft und wir genehmigen uns dort ein Frühstück.
Einige Händler bieten eigenartigerweise auch Edelsteine an. Denn wie es sich für eine Provinz mit dem Namen „Juwelenberg“ gehört, werden hier in der Region auf traditionelle Weise Edelsteine abgebaut.
Dies ist auch unser nächstes Ziel: Juwelen, Edelsteine des Districts Bokeo.
Etwa 25 km östlich der Stadt fahren wir auf einen Staubweg ab und an einer kilometerlangen Gummiplantage entlang.
Zwischen den langen Reihen der Gummibäume sehen wir überall tiefe Löcher im Boden, teilweise mit Laub verdeckt
und so kommen wir tiefer in die Plantage und an eine Stelle, an der gerade zwei Männer Erde aus einem etwa 10 m tiefen Loch nach oben bringen.
Einer schaufelt unten Erde in einen Eimer, der andere oben zieht den Eimer mit einer Winde nach oben und leert ihn. Harte, staubige Arbeit - und ganz gewiss nicht gesund und ungefährlich.
Den kargen Ertrag an Steinen - wenn sie mal „lucky“ sind - verkaufen sie billig an den Plantagenbesitzer, der ihnen das Grabrecht vertraglich zugesichert hat. Die Männer sind inklusive Kleidung rotgefärbt von der Erde, lagern in der Nacht wohl bei den Gruben.
An einem Platz arbeiten mehrere Gruppen unter Planen, vor der Sonne geschützt. Man kann der Schufterei dieser modernen Sklavenarbeit kaum zusehen.
Ein weiteres Ziel in der Umgebung von Ban Lung ist der Yeal-Laom-See mit seinem türkisfarbenen Wasser und einem netten Rundweg.
Auf dem Weg dorthin, besuchen wir einen im Dickicht des Waldes gelegenen Friedhof der Tampoun. Dies ist eine Minorität mit animistischem Geisterglauben. Entsprechend sind auch die Grabhäuschen gestaltet. Damit der/die Verstorbene nicht leiden muss, sind Gegenstände, die er/sie im Leben benötigte, dort beigegeben. So findet sich in den Grabstellen allerhand Nützliches: Viele Flaschen, das Lieblingsgericht eventuell, Moskitonetz, Kleidung, Werkzeuge usw.
Selbst Geldscheine wurden am Dach aufgehängt. Alles überzogen vom Staub der tausend Jahre. Von Feierlichkeit im Zeichen des Todes und Grabpflege keine Spur. Der wilde Wald wuchert schon lange um die Gräber.
Die Tampoun betrachten auch das ganze Gebiet des hübschen Vulkansees als heilig.
Dies ist auch der Grund, weshalb keine Häuser am bis zu 50 m tiefen See gebaut und keine Bäume gefällt werden dürfen. Wozu das führt sehen wir auf einem Spaziergang um den See.
In einem naturbelassenen Waldgebiet sehen wir neben den zauberhaften Bambustunneln
jede Menge große Urwaldriesen, wie man sie in anderen Wäldern die letzten Tage nicht mehr sehen konnte.
Hier ist die Wildheit eines dichten Waldgebietes erhalten.
Ach, wären doch alle Dschungel Kambodschas zu heiligen Orten erklärt worden!
Am Abend verabschieden wir uns bei Sokra. Er wird sich sehr früh am Morgen auf die 450 km lange Rückfahrt nach Siem Reap machen, für die das GPS 12 h angibt. Wir haben ein Ticket von Ban Lung nach Don Det. Das Dumme ist bloß, wir gingen davon aus, dass wir direkt über die Grenze fahren würden. In Stung Treng aber werden wir um 11 Uhr mitten im Nirgendwo einer Baustelle beim Riverside-Guesthouse abgeladen. Dort erfahren wir dann, dass der Bus zur Grenze erst gegen 14 Uhr abfahren wird. Drei Stunden Aufenthalt.
So werden wir wohl erst zum Sonnenuntergang bei Lutz auf der Insel sein.
Wer weiterlesen möchte, ruft bitte das Kapitel „Südlaos vom 15. Februar - Anfang März 2017“ auf.