Im Süden - Agrigento
Palermo, 11.05.2022, 19:30 Uhr
Schneller als erwartet finden wir uns am Abend noch vor 8 Uhr auf den vollgestopften Straßen im Abendverkehr von Palermo wieder und dürfen erkennen, dass Verkehrsregeln für alle, aber auf keinen Fall für den Palermitaner gelten. Reichen die 2 Fahrspuren nicht aus, wird eben eine vierte oder fünfte aufgemacht, steht die Ampel auf Rot, fährt man weiter, wenn der Verkehr es zulässt.
Und so schlängeln wir uns mit höchster Konzentration durch die Automassen, am Botanischen Garten vorbei die Via Lincoln entlang bis wir unser Viertel, die Albergheria, erreichen. Unser Navi führt uns zunehmend durch immer beunruhigendere Viertel mit großen Müllbergen und Häusern, die sich gerade dem endgültigen Verfall hingeben. Mehrmals müssen wir in einer Sackgasse oder vor einer Einbahnstraße wenden, bis wir an die Porta Sant‘ Agata stoßen, in deren Nähe sich unser gebuchtes Zimmer der „B&B Colori di Bahlara von Palermo“ befinden soll. Da Lampedusa nicht mehr weit ist, finden sich im Viertel überall auch größere Gruppen der Ärmsten aus Schwarzafrika, die am Ballaro Markt ihre zweite Heimat gefunden haben und in der Dämmerung, auf der Straße hockend, Nachrichten aus der Heimat die Runde machen. Weil die Gassen enger werden, lassen wir das Auto stehen und ich suche die Via Nino Martoglio zu Fuß und kann mir nicht vorstellen, in dieser zweifelhaften Gegend unser Auto samt Fahrrädern eine Nacht abstellen zu können, geschweige denn in diesen Trümmern schlafen zu wollen.
Aber oh Wunder, ein Haus in diesem Ruinenpark ist renoviert und über dem ausgeleuchteten Laden prangt höchst selbstbewusst ein Schild „Pasticceria Porta Sant’Agata“ und direkt das Haus gegenüber, ebenfalls neu renoviert und strahlend, ist die Nummer 30, (zwei glitzernde Oasen inmitten des unsagbaren Elends) wie auf unserer Buchung. Hoffnung keimt für einen kurzen Moment auf.
Aber niemand öffnet auf unser Läuten. Und wir stehen ratlos vor dem verschlossenen Eingang in einer uns verschlossenen Gegend und wünschten uns für einen Moment ins schweineteure Grand Hotel an der Plazza Marina.
Wir werden aus unseren unbezahlbaren Träumen gerissen, als sich die Türe urplötzlich öffnet und ein italienisches Pärchen wie ein Engelspaar erscheint und für uns den Besitzer von unserer Ankunft informiert.
So löst sich alles in Wohlgefallen auf. Die Zimmer sind wohl vorbereitet und bestens ausgestattet und Giovanni will uns am Morgen beim Frühstück begrüßen.
Bleibt noch das Parkplatzproblem, das wir mit großem Vertrauen und ohne andere Chance so lösen, dass wir unser vollgepacktes Auto an einem Platz in Sichtweite von unserem Balkon parken.
Auf der Suche nach einem Restaurant oder wenigstens einer Bar, werden wir schnell fündig und zu allem Glücksüberfluss entpuppt sich das Lokal als Hauptgewinn, gar mit Spaghetti Norma und sonstigen Köstlichkeiten auf der Karte. Wow!
Fahrt nach Porto Empedocle, 13.05.2022
Am nächsten Morgen dann die Überraschungen im Doppelpack.
Giovanni ist ein smarter Vertreter seiner Gattung und sehr sympathisch, versorgt uns mit guter Laune, Sprüchen, Cappuccino und leckeren Dolce mit Pistaziencreme satt gefüllt und Cannoli von gegenüber.
Als wir nach dem Frühstück ins Freie treten, befinden wir uns in einem ungeordneten Basar, im ganzen Viertel werden überall ärmliche Habseligkeiten auf dem Boden angeboten und unser Auto ist von Tischchen und Decken vollbeladen mit allerlei Krimskrams umzingelt, mit dem sich zwei Frauen für den Tag ein paar Münzen erhoffen. Wir helfen kurz beim Wegräumen, parken aus und erfahren, dass die jüngere der beiden eine Tochter in Mannheim hat. Sie winkt uns noch nach.
Mit diesem Wissen verließen wir das Viertel und die Stadt wie auf einer Flucht - und das in falscher Richtung.
Eigentlich hatten wir vor, über die Westautobahn nach Gibellina und Selinunte bis Porto Empedocle zu kommen, das Navi aber leitete uns zuerst rechthaberisch einige Kilometer nach Osten bis Bagheria und wollte uns dann über die Berge nach Agrigento bringen. Wir setzten uns durch und fuhren zurück, also in fast ständig zäh fließendem Verkehr durch ganz Palermo von Osten nach Westen.
Als wir einige Zeit später tatsächlich aus der Großstadt herausfanden und eine Gegend mit karger Landwirtschaft auf vielen überlangen Autobrücken durchfuhren, erahnten wir irgendwie den Hauch der Mafia, der sich wie ein Gespenst über der Landschaft aufblähte. Ins Bild passte da auch das bizarre Nueva Gibellina mit seinen monströsen Kunst- und Bauwerken, errichtet auf Wunsch des kommunistischen Bürgermeisters, nachdem das alte Städtchen in der Nähe einem kolossalen Erdbeben zum Opfer fiel.
In Beton gegossener Gigantismus und kalte Ästhetik vereint!
Voll entschädigt wurden wir allerdings durch die Kunst der Antike in Selinunte, die Tempel, die Akropolis und die Stadt mit später etwa 100 000 Bewohnern, erbaut von Siedlern aus Megara Hyblea vor etwa 2 1/2 tausend Jahren, auf ausgesuchtem Grund mit bestem Blick auf das Meer und umgeben von zwei natürlichen Häfen.
Wohltuend die Stille beim Gang durch die Tempelfelder, der würzige Duft von wilder Sellerie, die Farbenpracht des Ginsters und die Melodien des Einfarbstars auf den dorischen Säulen.
Im Fischlokal später in Marinella di Selinunte unterhalb des Tempelareals beim Hafen mit den bunten Fischerbooten beobachten wir mit zunehmendem Genuss die lange Unterhaltung von 4 Männern, die in unnachahmlicher Weise ihre Worte mit weit ausschweifenden Gesten und Grimassen verstärken und für uns mit der Zeit ein garantiert langweiliges Gespräch in ein grandioses Schauspiel umwandeln.
Dazu der gegrillte Fisch mit Blick auf das unverschämte Blau von Himmel und Meer, und der halbe Liter Weißwein, der mich schlafen ließ auf der Weiterfahrt an der Küste bis ins verdreckte Porto Empedocle mit Zementwerken, chemischer Industrie und Betonarchitektur, mit dem der naturliebende Philosoph Empedokles wohl kaum einverstanden gewesen wäre.
Ausgerechnet dort hat unsere Unwissenheit eine Ferienwohnung für eine ganze Woche gebucht.
Die Wohnung selbst war groß genug, zwar etwas ältlich eingerichtet, aber mit allem Nötigen ausgestattet. Eine Terrasse mit Blick auf eine befahrene Straße war der Höhepunkt.
Massimilliano, der Sohn des Besitzers, empfing uns, wies uns ein und ließ uns von da an in Ruhe. Jeden Morgen allerdings brachte uns nun ein Mitglied der Familie Hörnchen, Belegte Brötchen, Bomboloni und lächelte freundlich dazu.
Fast ein ganzer Tag am Meer.
Zuvor jedoch der enttäuschende Besuch des Städtchens Siculiana, das auf einem Hügelrücken malerisch thront und fälschlicherweise einen touristischen Leckerbissen verspricht, vom mächtigen Kuppeldach der Chiesa Madre überragt. Aber leider kein Platz für das italienische Flair und die Idylle so mancher Lieblingsorte.
Hier regiert einfach die Nüchternheit!
Danach an den zur Zeit menschenleeren Sandstrand von Siculiana Marina, besonders schön noch Nordwesten hin, wo sich schroffe Felsabstürze erstrecken, bis hin zum angrenzenden Naturreservat „Torre Salsa“ ,kilometerlang bis zum „Capo Bianco“ bei Eracleo Minoa in der Ferne, weiße Gipsklippen, auf denen griechische Ruinen stehen sollen.
Nach lesen, dösen, Wassertemperatur testen und für zu kalt empfunden, ein Weilchen schlafen und einem Bier in der Strandbar, stürzen wir uns am späten Nachmittag in das Abenteuer, hier auf Sizilien ausgesuchte Plätze anzusteuern. Die aufwändige Suche nach dem alten Eraclea Minoa auf den Gipsklippen scheitert in Ermangelung hin- und wegweisender Schilder und wir landen in einer kilometerlangen Einöde mit etwas Ahnung des nahen Meeres aber wenig Aussicht auf ein glückliches Ende, so dass wir uns in der Pampa für die langwierige Rückkehr entschließen.
Ähnliches dann später. Als wir unseren Ort erkunden wollen, gelangen wir ungewollt in die schilderlosen Höhen einer unstrukturierten und für uns unbekannten Feriensiedlung, bei der wir uns an jeder Stelle zielsicher für den falschen Abzweig entscheiden, so aber etwas später auf der Kuppe ein sehenswertes Naturmonument entdecken.
Die „Scala dei Turchi“ ist eine blendendweiße Kalkformation, deren horizontal verlaufende Riesenstufen tatsächlich an Treppen erinnern. Ein grandioser Anblick, auch mit den gelben und weißen Stränden vor den Felsen.
Wozu Orientierungslosigkeit doch führen kann!
Jeden Morgen steht ein kleines Päckchen mit einem Schleifchen auf dem Tisch unserer Terrasse. Immer eine andere sizilianische Köstlichkeit bisher. Diverse mit unterschiedlichen Cremes gefüllte Hörnchen, Cannoli zuckersüß, Mandelcremeplätzchen, gefüllte Bomboloni oder Teilchen, undefinierbare Blätterteigtaschen etc.
Bei den Süßigkeiten sind die Sizilianer unschlagbar. Wie hatte Giovanni in Palermo bei dieser Gelegenheit gesagt:“Wir sind Nordafrika.“ Natürlich mit einem Lachen verbunden. Der große arabische Einfluss also. „Siamo Arabi!“
Die letzten Tage haben wir uns ganz langsam dem sizilianischen Verkehr angenähert, was nicht ganz einfach ist.
Auf allen erschlossenen Straßen und Wegen wimmelt es nur so von Hinweis- und Verbotsschildern alle paar Meter. Klar. Bloß, der Sizilianer hält sich keineswegs daran. Auch nicht an Ampeln oder Fahrbahnlinien. Er ist ein Meister im Ignorieren und im selbstdefinierten Fahren. Ein Mann eben.
Und Geschwindigkeitsbegrenzungen kann er einfach nicht leiden. So kommen wir uns beim Fahren nach Zahlen irgendwie beschränkt vor, wenn wir sekündlich von rauschenden Flitzern überholt werden, an Stellen, wo gerade alle paar Meter Schilder auf 30 km/h hinweisen.
Abseits der großen Straßen allerdings wimmeln keine Hinweisschlider. Wenn du Glück hast, findest du noch irgendeinen Hinweis zu Beginn deiner Odyssee. Das muss reichen. Beispiel Eraclea Minoa. Griechische Ruinen auf einem weißen Felsen oder auch der Strand darunter. An der großen SS115 zeigt dir ein Schild den Abzweig und jetzt kurvst du kilometerweit durch eine hügelige und karge Landschaft, entscheidest dich an jeder Kreuzung ohne Schild spontan nach Gefühl. Manchmal geht es bergauf, dann wieder hinunter ins Tal. Das blaue Meer ist schon lang nicht mehr zu sehen, geschweige denn irgendeine Säule fern am Horizont als Hinweis. Du fährst und die Zeit vergeht. Irgendwann beginnst du dich zu fragen:“Was mache ich da eigentlich.“ Die Landschaft verändert sich kaum. Schafherden grasen die wenigen Halme dort ab, wenig Spuren von Zivilisation ansonsten.
So allmählich beginnst du gedanklich dein Ziel aus den Augen zu verlieren, was du ja real schon „erfahren“ hast. Und du suchst dir eine gute Stelle zum Wenden.
Zum Beispiel: Gestern am Samstag hatten wir uns auf einen Besuch der Altstadt von Agrigento eingelassen. Schon im Hafengebiet bei den Chemieanlagen von Porto Empedocle fing die Verwirrung an. An unübersichtlicher Stelle fehlte plötzlich ein Schild, wir entschieden uns selbstverständlich für die falsche Route und landeten so vor einem Entladekai.
Zurück also. Auf diese Art und Weise näherten wir uns dem Tagesziel tatsächlich an.
Auf dem Plan sahen wir in der Via Empedocle direkt unterhalb der Altstadt ein Parkhaus, das wir nun mit Navi ansteuerten. So weit so gut.
Bis zur Piazza Marconi schlängelten wir uns mit Bravour durch den Verkehr, bis schließlich in einer Seitenstraße gar nichts mehr ging. Parkmöglichkeiten nicht zu sehen, nur Autos, die offensichtlich verzweifelt gerade danach auf der Suche waren. Verkeilt im Verkehr entschlossen wir uns für die Umkehr. Das Navi bescherte uns danach jedoch noch eine kleine Irrfahrt durch die engen Gassen von San Leone unten am Meer, die in einer Sackgasse endete. Danach ohne Navi und ohne Umwege an den Strand, der für den Monat Mai schon passabel gefüllt war.
Baden aber war noch nicht angesagt, bei niemandem. So auch nicht bei uns.
Porto Empedocle, Mittwoch, 18. Mai 2022
Am Wochenende, speziell am Sonntag ist Familientag hier in Sizilien.
Nicht daran zu denken, sich an solchem Tag ins „valle dei Templi“ zu wagen. Hoffnungslos auch die Altstadt von Agrigento überfüllt. Bei allen Naturschauspielen in der Umgebung suchen die Familien ein Plätzchen für sich.
Aber bei gutem Wetter wie im Moment (14 h Sonne am Tag, gefühlt über 30 Grad- absolutes Sommerwetter) zieht es auch eine große Schar an den Strand, zu den Sehenswürdigkeiten der Umgebung, in die Restaurants und Bars.
Alles ist überfüllt.
Lagen wir am Strand von Siculiana und San Leone die letzten Tage noch fast alleine, so war am Sonntag der breite Sandstrand von Realmonte und der von den „Scala dei Turchi“ direkt bei uns nahezu überfüllt. Wie sonst wahrscheinlich im Sommer.
In der Regel treffen sich an den Stränden die jungen Familien, die Junggebliebenen und die Jugend beiderlei Geschlechts bei Annäherungsversuchen oder beim raumgreifenden Fussball. Schwimmen im noch zu kalten Meer ist nicht angesagt. Aber man sonnenbadet, zeigt seine neue Bademode, trägt sie bei körperlichen Voraussetzungen auch schon mal knapp, trifft ständig Freunde, tauscht sich wort- und gestenreich aus, auch dann, wenn vom Dach der Strandbar überlaute House- und Ravemusik fast stundenlang und ohne Unterbrechung in die Ohren wabert.
So geht Sonntag in Porto Empedocle, an einem Ort, wo die Chemieanlagen am Hafen eigentlich den Spass verderben müssten, von so nah winken sie zu den Sonnenanbetern herüber.
Und weil dies so ist, legt man sich eben zu den Massen in die Sonne, lauscht dem Wortschwall der Nebenfrau und lässt sich von deren Gestenreichtum begeistern oder liest über die Geschichte des alten Agrigento.
Hungersnöte, Missernten und wirtschaftliche Not zwangen viele Griechenvölker etwa ab dem 8. Jahrhundert v.Chr. zur Emigration und sie gründeten Kolonien vorwiegend in Süditalien und Sizilien. Kolonisten aus Rhodos erbauten so um 580 v. Chr. an strategisch günstigem Ort an der Südküste die Stadt Akragas.
Der Handel und die Wirtschaft blühten schnell auf und so zog Reichtum und Wohlstand ein in Akragas. Auch verbündete man sich clever mit der damals mächtigsten Kolonie Syrakus und die Heere schlugen gemeinsam die Karthager. Danach lebten etwa 200 000 Menschen in der Stadt und man lebte nicht schlecht. Luxus, Dekadenz und Prunksucht breiteten sich aus. Und genau dieses prunkvolle Leben seiner Bewohner führte auch zum Niedergang. Im Peloponnesischen Krieg zwischen Athen und Syrakus blieb man neutral und hielt sich vornehm zurück. Aber als dann die Karthager 406 v. Chr. Akragas belagerten hatten die Heere von Syrakus keinerlei Eile und man überließ die Stadt kampflos dem Feind und die Bewohner zogen nach Gela. Für die Akragas war dies für lange Zeit der Untergang.
Erst sehr viel später bei den Römern war die Stadt Agrigentum wieder Handelsplatz, den auch die Vandalen, die Araber, die Normannen nutzten und heute leben etwa 55 000 Einwohner hier.
Am Montag nun wurde es Ernst. Ein Besuch bei den Tempeln war angesagt.
Immer wieder hatten wir ihn verschoben, wegen der Hitze und der Menschenmassen, die wir vermuteten.
Aber wer kann schon in Agrigento Urlaub machen und hat nicht das Tal der Tempel gesehen. Unvorstellbar.
Nach dem Frühstück mit ausgesuchtem und zuckersüßem Gebäck machten wir uns auf den Weg.
Aber das „valle dei Templi“ von Agrigento ist nicht Selinunte, wo größere Strecken zwischen den Anlagen mit Shuttle service zurückgelegt wurden. Nein. Obwohl ungleich größere Strecken zu bewältigen sind, mutet man den Besuchern diese Strecken zu Fuß zu.
Bei unserer samstäglichen Irrfahrt hatten wir den Parkplatz am Museum gesichtet und in der falschen Annahme, dort auch einen Eingang samt „Biglieterria“ zu haben, stellten wir dort unser Auto komfortabel in den Schatten. Das war der erste Fehler. Es gab nach Recherchen keinen Eingang in der Nähe.
So starteten wir also etwa um 10:30 Uhr am Parkplatz beim Archeologischen Museum und wanderten direkt an der Autostraße gefühlte 3-4 km entlang, bis wir zum westlichen Parkplatz und Parkeingang kamen.
Waren schon vor der kommenden Strapaze im Tempelareal schon ganz nett strapaziert.
Von dort begann aber erst der Aufstieg zum Tempel des Dioscuri und den Gärten der Kolymbetra. Die Hitze war inzwischen unerträglich und Schatten Mangelware.
Unter fast jedem Baum legten wir ein kleine Pause ein. Auf diese Weise schleppten wir uns zwischen lärmenden Schülermassen und sonstigen Großgruppen von Kunsthistorikern zum „Tempio die Giove Olimpico“ voran, überquerten die Panoramastraße und befanden uns so im östlichen Parkbereich beim Herkulestempel.
Noch in den wunderschönen Gärten der Villa Aurea hatten wir die Lust auf genaueres Betrachten, die allerdings einige 100 Meter beim eigentlich schönsten Tempelexemplar, dem Concordiatempel, schon deutlich nachgelassen hatte.
Die Hitze tat jetzt ganze Arbeit und sog sozusagen die letzten Kräfte aus unseren Körpern. Die letzte Strecke am Tempio di Giunone vorbei, für den wir nur noch nachlässige Blick aufbrachten, bis zum Parkein- und ausgang im Osten waren reinste Qual.
Nach diesen jetzt schon etwa 10 km warteten nochmals 3-4 km zurück bis zum parkenden Auto am Museum. Grausam Gedanke. Die Wade und der Rücken begannen zu protestieren und erinnerten an die bevorstehende OP.
Heldenhaft übernahm Edith die Aufgabe zum Auto zu marschieren und das Häufchen Elend, das ich inzwischen war, am Parkausgang wieder abzuholen.
Was tut man nicht alles als Kulturbanause in fortgeschrittenem Alter!
In Markgröningen wohnen schon seit vielen Jahren eine Menge Familien, die ihren Ursprung in Sizilien haben. Auch eine ganze Menge Schüler waren dabei. Sie kamen und kommen noch vor allem aus der Provinz Agrigento. Aus Ribera, der Orangenstadt, Licata wo Daniela Licata (die tatsächlich so hieß) aus der Volleyballjugendmannschaft herkommt oder das Städtchen Racalmuto, ca 35 km von Agrigento entfernt in den Bergen.
Heute haben wir uns also nach Racalmuto aufgemacht. Zunächst auf der Schnellstraße Richtung Caltanisetta in den Bergen mit vielen Stelzenbrücken in der hügeligen Landschaft (der große Brückenbauerfabrikant Siziliens muss gute Beziehungen zur Mafia haben - die ganze Insel ist vorzugsweise mit Stelzenbrücken ausgestattet, auch dort, wo längst keine nötig wären).
Als wir die Außenbezirke von Agrigento verlassen haben, verlassen wir auch die Autostrada in Richtung Racalmuto und tauchen schlagartig in eine andere Welt ein. Die Nebenstraße ist einem erbärmlichen Zustand wie wir sie eher in Afrika gesehen haben. Menschliches Leben nehmen wir dort nirgendwo wahr. Mit max 10 km/h kurven wir in einer Landschaft mit Oliven- Mandel- und Pfirsichgärten, grasenden Schaf- und Ziegenherden auf einem Art Weg, mit Schlaglöchern satt gesegnet.
Es dauert zwar, aber wir erreichen tatsächlich Racalmuto, ein kleines Bergstädtchen mit Kirche, Dom, Kastell und einem in Stein gehauenen Spruch des Schriftstellers Leonarda Sciacia, in dem er von Heimat schwärmt.
Einen ehemaligen Schüler (wie zB. Niccolo Chiarelli, der im Ort ein Friseurlädchen haben soll) haben wir natürlich nicht gesehen, ebensowenig ein Cafe, Bistro oder ein sonstiges Ruheplätzchen. Tote Hose um die Mittagszeit.
Fuhren wir also weiter und ließen uns vom Reiseführer für das mittelalterliche Bergstädtchen Naro inspirieren.
Dort soll auch eine Festung der Araber zu sehen sein, die dem Ort den Namen gegeben hat (Nar=Feste). Müssen wir übersehen haben. Ebenso die Bewohner der Stadt. Die Gassen wie ausgestorben, selbst auf dem großen Domplatz nicht einmal ein schlafender Hund.
Im Cafe „Agora“ allerdings war etwas Leben und wir bekamen Bier und Cappuccino bei einem Päuschen.
Bei der Rückfahrt haben wir natürlich den Abzweig nach Palma die Montechiaro verpasst, der Heimat von Giuseppe Tomaso di Lampedusa, dem Autor des „Leoparden“, in dem auch der gleichnamige Film gedreht wurde.
Uns hat folgender Text im Reisführer etwas gereizt:“Vor Jahren schaffte es das ausgedehnte Landnest sogar in deutsche Schlagzeilen: zum einen wegen der offensichtlich regen Kontakte der hiesigen Mafia nach Deutschland, zum anderen wegen einer extrem hohen Rate „unnatürlicher“ Todesfälle. Bei Kriegen zwischen den verschiedenen Clans gab es ab Mitte der 80iger Jahre innerhalb von 7 Jahren 58 Tote - kein einziger Mord wurde aufgeklärt.“
Die Verruchtheit dieses Ortes hat uns wohl förmlich angezogen. Den Weg dorthin aber verpasst zu haben, zeugt jedoch auch von Vernunft und Augenmaß - ob bewusst oder nicht. Einige Stunden im Sand von San Leone waren danach eine gute Entscheidung. Und Edith hat dieses Mal tatsächlich einen Kopfsprung ins kalte Wasser des Meeres gewagt.
Heute endlich besuchten wir die Provinzhauptstadt Agrigento. Strategisch wohl gewählt von den griechischen Kolonisten liegt die Altstadt hochoben auf einem großen Kalksteinplateau. Von der Küstenebene aus gesehen, macht das Städtchen allerdings keinen guten Eindruck. Betonplatten- und riesiger Hochhausbau erzeugen eine ziemlich hässliche Silhouette.
Ganz anders dann das Gefühl in den engen Gassen dort oben, den steilen Treppchen, die
zum Himmel zeigen und den barocken Prunkbauten wie Kirchen und Paläste. Dort in der Via Ateana, dem eigentlichen Zentrum lässt es sich angenehm flanieren. Das einzige Problem sind die fehlenden Parkplätze. Man hat das Gefühl, dass vor allem am Morgen Kolonnen von PKWs auf der Suche danach sind. Wir hatten Glück ganz oben nahe der Altstadt ein einziges kleines Plätzchen zu finden.
Und als wir zu Siestazeiten, da die Stadt sich zu einem kleinen Schläfchen verabschiedet und die Gassen sich geleert hatten, wieder zum Auto kamen, war auch das Parkploblem keines mehr.
Morgen fahren wir an der Südküste entlang in die schöne Stadt Syrakus. Mal sehen, ob uns Nino empfangen wird.